Autophilos

Platonischer Dialog über den Kraftstoffpreis

Personen: Autophilos, Lampyloros

Lampyloros: Wohin des Wegs mit solch grimmigem Blicke, Autophilos?

Autophilos: Beim Zeus, du wagst es zu fragen, Lampyloros? Wart ihr vom wilden Eber gebissen, bei eurem Symposion (Wahlparteitag), ihr wahnwitzigen Chlorophiloi (BündnisGrüne)? Fünf Drachmen soll ich zahlen für die Amphore Naphtha! Kannst du mir sagen, wie ich meinem Gewerbe nachgehen soll, bei solchen Preisen für den Kraftstoff?

L: Ei Autophilos, hast du nicht etwas vergessen in deinem Zorn?

A: Na was denn, Lampyloros?

L: Wann sollst du denn die 5 Drachmen zahlen, wenn es nach uns geht und die Wähler uns ihre Stimmen schenken?

A: Einen feuchten Kehricht werden sie tun, die Wähler! Mit meiner Stimme könnt ihr jedenfalls nicht rechnen!

L: Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, edler Autophilos: Wann wollen wir dir und deinesgleichen diese fünf Drachmen denn aus der Tasche ziehen?

A: Na, in zehn Jahren, wie euer Symposion im Vollrausch beschlossen hat!

L: Richtig, Autophilos, in zehn Jahren; und weißt du auch, was du ein Jahr nach der - hoffentlich gewonnenen - Wahl für die Amphore zahlen sollst?

A: Woher soll ich das denn wissen, du wahrhaft teurer Lampyloros?

L: Nun, natürlich aus den Nachrichten über unser skandalöses Symposion, woher denn sonst?

A: Aber, beim Hermes, in den Nachrichten wurde immer nur von den fünf Drachmen berichtet, und dass ihr den Attischen Bund auflösen wollt, ihr Narren!

L: Das mit dem Attischen Bund besprechen wir ein anderes Mal, Autophilos, ich will dir jetzt lieber sagen, was du - hoffentlich - nächsten Herbst für die Amphore Naphtha zahlen sollst: nicht fünf Drachmen, auch nicht vier und nicht einmal drei - etwas mehr als zwei Drachmen wollen wir für die Amphore. Dünkt dich das übertrieben?

A: Zwei Drachmen für die Amphore Naphtha? Lieber wähle ich noch einmal den dicken Kolon zum obersten Archonten! Mein Alpha-Omega verbraucht 1,2 Amphoren für die Strecke Marathon-Athen. Bei eurem Naphthapreis von 5 Drachmen wären das 6 Drachmen für eine Strecke, die ein Athlet in drei Stunden laufen kann. Wer soll da noch mit dem Wagen fahren - doch wohl nur noch die wohlhabendsten Bürger Athens!

L: Mein lieber Autophilos, warum wohl braucht dein Autokineton (Kraftfahrzeug) 1,2 Amphoren für den Marathon, was denkst du?

A: Wie meinst du die Frage Lampyloros, ich verstehe dich nicht.

L: Ganz einfach, Autophilos: Sage mir bitte, welches dein gegenwärtiges Körpergewicht ist.

A: Der Bademeister im Gymnasion (Fitness-Center) um die Ecke hat eine genaue Waage; jedesmal nach meinen Übungen lasse ich mich dort wiegen. Also kann ich dir sagen, dass ich genau 80 Kilogramm wiege, beim dicken Kolon!

L: Und ist es allzu indiskret, zu fragen, was dein famoser Alpha-Omega wiegt, mein trefflicher Autophilos?

A: 1.200 Kilogramm, mit allen herumliegenden Nockerlwellen!

L: Sehr gut bist du informiert, edler Autophilos! Dein Auto wiegt also fünfzehnmal soviel wie du, göttlicher Herrscher der donnernden Hufe. Bist du sicher, dass es der Vernunft entspricht, deine sterblichen Überreste mit solchem Aufwand zu bewegen? Deine unsterbliche Seele, wenn sie das Reich der Ideen aufsucht, um sinnend und betrachtend dort zu verweilen - was sie übrigens häufiger tun sollte, wenn du mich fragst - benötigt nichts dergleichen für ihren hohen Flug. Aber deinen Kadaver - wie die Römer zu sagen pflegen - beförderst du mit 1,2 Tonnen Buntmetall. Ist das weise, Autophilos, hat das irgendeinen tieferen Sinn?

A: Gar seltsam dünkt mich deine Frage, Lampyloros. Wie ich von meinem Freund, dem Wagenlenker des dicken Kolon, weiß, fährt dieser einen Merkedes-Bonz der gepanzert ist wie eine Riesenschildkröte. 2,5 Tonnen wiegt dieses Gefährt, 2,8 Tonnen mit dem dicken Kolon und meinem Freund. Was machst du mir da meinen Alpha-Omega zum Vorwurf, werter Freund?

L: Du solltest dich nicht mit dem dicken Kolon vergleichen, ehrwürdiger Autophilos. Quod licet bovi, non licet jovi - wie die Römer zu sagen pflegen. Beantworte mir lieber noch eine andere Frage: Der große Wagenbaumeister Piëchos sagt, er könne jederzeit ein Auto auf den Markt bringen, das nur noch 0,3 Amphoren für den Marathon benötigt. Das wäre ein Viertel von dem, was dein Alpha-Omega verbraucht. Selbst bei einem Naphthapreis von 5 Drachmen würdest du in zehn Jahren billiger fahren als heute. Warum ist dieses Auto nicht erhältlich, Autophilos?

A: Wahrscheinlich, weil niemand ein solches Auto kaufen würde. Da kann man ja gleich zu Fuß nach Marathon laufen, statt mit einer solchen Krücke zu fahren.

L: Nun, solch ein Auto könnte vier Personen wie dich, mich, den göttlichen Sokrates (wenn er noch lebte) und unseren Freund Platon in einer halben Stunde nach Lávrion bringen, wo wir uns am Strande in der Abendsonne ergehen könnten - nicht ohne den Reden unserer berühmten Lehrer zu lauschen, versteht sich. Würdest du das eine Krücke nennen, Autophilos?

A: Nach Lávrion brauche ich zwanzig Minuten mit meinem Alpha-Omega - wenn ich nicht gerade in der Stasis (Stau) stecke.

L: Dann müsstest du aber auf die Gesellschaft von uns dreien verzichten, Autophilos. Platon jedenfalls hat immer noch genug von seiner letzten Fahrt mit dir. Nun lass' mich dich aber noch etwas anderes fragen: Was glaubst du denn, wollen wir mit den zusätzlichen Einnahmen tun, die wir aus der Naphthasteuer erhalten wollen?

A: Nun, wenn ich über solch' immense Einnahmen verfügte, ich würde bei der Hetäre Aspasia Wohnung nehmen um Lyra- und Liebesspiel samt edlen Weinen in stetem Wechsel zu genießen, beim Priapos!

L: In der Tat, Autophilos, wenn wir Chlorophiloi so mit den Steuergeldern der Wagenlenker zu verfahren gedächten, wäre der Zorn der Wähler durchaus berechtigt!

A: Ich verstehe dich wieder nicht, teurer Lampyloros!

L: Natürlich verstehst du mich nicht, Autophilos. Das Organon (Organ), mit dem du denkst, dient vornehmlich der Zeugung und dem Genuss zarter Knabenschenkel. Nimm' dein Haupt zum Denken, nicht deinen Phallos, du Molch!

A: Gar ungerecht dünkt mich dein Zorn, Lampyloros! Was wollt ihr denn sonst mit dem ganzen Gelde tun?

L: Wir wollen eine Reform des gesamten Steuerwesens, beim Hermes! Wir wollen ein Steuerwesen, das sich an den Ideen des Schönen, Wahren und Guten orientiert, wie es sich für Ideenfreunde geziemt!

A: Es scheint dir heute zu gefallen, in Rätseln zu sprechen wie die Pythia, Lampyloros.

L: Dann lass' mich im Klartext reden, Autophilos. Als erstes, nachdem wir den Naphthapreis erhöht haben, wollen wir die Wagensteuer abschaffen.

A: Gar sprachlos macht mich deine Rede, Lampyloros! Wovon wollt ihr dann die Straßen bauen, die mein Alpha-Omega durcheilt, wenn nicht von der Wagensteuer?

L: Na, von der Naphthasteuer, begriffstutziger Autophilos!

A: Und warum lasst ihr dann nicht einfach alles beim alten, ihr verschrobenen Chlorophiloi?

L: Wegen des sogenannten Verursacherprinzips, du Zügler der rasenden Wagenräder. Wenn dein Alpha-Omega still in seinem Garagos steht, verschleißt er dann den Asphaltos mit seinen scharrenden Hufen oder verdirbt er den Äther mit seinem stinkenden Miasma (Gift-, Pesthauch)?

A: Mein Alpha-Omega stinkt nicht, Lampyloros, du vergisst die Katalysis des Miasmas, beim Hephaistos!

L: Nun gut, das mit dem stinkenden Miasma nehme ich zurück. Aber dass dein Auto Naphtha in Miasma verwandelt und nicht umgekehrt, wirst du doch zugeben, Autophilos. Und das Miasma deines Alphas kannst du nicht atmen, ganz gleich ob es stinkt oder nicht. Also wollen wir Chlorophiloi nur den Naphthaverbrauch und die Miasmaerzeugung besteuern, nicht den Besitz eines Autos.

A: Nun, das war den Nachrichten nicht zu entnehmen, Lampyloros. Nichtsdestoweniger wird es ja nicht bei den zwei Drachmen für die Amphore bleiben, nicht wahr? Was wollt ihr dann mit den weiteren Einnahmen tun, wenn ihr sie nicht zu den Hetären und Pornen tragen wollt?

L: Wir wollen den Obolos (Beitrag) zum Altersruhegeld und zur Versicherung gegen die Kosten der Krankheit senken, Autophilos.

A: Beim Hippokrates, das haben schon viele verkündet und keiner vollbracht, Lampyloros. Warum sollte euch das denn gelingen?

L: Weil wir den Wählern sagen, wo wir das Geld dafür hernehmen wollen, und wieviel.

A: Auch wenn ihnen das nicht gefällt...

L: Bist du sicher, Autophilos, dass alle Chauffeure (Heizer), die sich gegenwärtig über unsere Forderung echauffieren (erhitzen), wissen, was du jetzt weißt: Dass wir das Geld nicht sinnlos verjuxen sondern sinnvoll umverteilen wollen, dass wir mit anderen Worten endlich wieder das tun wollen, wofür Politikoi vom Bürger abgeordnet und bezahlt werden, nämlich Gesellschaft gestalten im Sinne des Allgemeinwohls?

A: Aber warum muss es denn unbedingt das Geld der Wagenlenker sein, das umverteilt werden muss, Lampyloros?

L: Weil wir nur so fünf Fliegen mit einer Klappe schlagen, Autophilos: Weniger Energieverbrauch, weniger Rohstoffverbrauch, weniger Luftverschmutzung, mehr Arbeit, mehr soziale Sicherheit. Und wenn die Wagenlenker im Verlaufe der nächsten zehn Jahre endlich auf moderne und intelligente Fahrzeuge umsteigen, können sie ihre Kosten sogar noch verringern.

A: Sag' mir, Lampyloros, nehmt ihr eigentlich noch Mitglieder auf, ihr verrückten Chlorophiloi?


Worterklärungen:

(alle erläuterten Begriffe entstammen dem Altgriechischen)
Autophilos:
autos + philos (Freund, Liebhaber) = Autoliebhaber, Wagenlenker
Lampyloros:
lampas (Fackel, Leuchte, Ampel) + pyloros (Pförtner) = Ampelpförtner
Chlorophiloi:
chloros (grün) + philoi (Freunde) = BündnisGrüne
Naphtha:
Erdölprodukt
Autokineton:
autos (selbst) + kinein (bewegen) = Kraftfahrzeug
Kolon:
Darm; der dicke Kolon = Dickdarm. Der Name ist natürlich eine Verballhornung des großen Staatsmannes Solon (640 - 560), Archon mit diktatorischen Vollmachten. Der Anachronismus - Platon lebte 200 Jahre später - ist nicht schön aber unvermeidlich...
Piëchos:
Pherdinandos Piëchos, berühmter Wagenbaumeister, einer der reichsten Männer Athens.